Bom dia, Amigos! Ich bin Lena, 17
Jahre alt und verbringe gerade mit AFS Interkulturelle Begegnungen und einem
Teilstipendium der Adolf Würth GmbH ein Jahr in Brasilien, genauer gesagt in
Lauro de Freitas, einem Vorort von der im Nordosten gelegenen Metropole
Salvador. Das Land Brasilien ist riesig und so unterscheiden sich auch die
Kulturen in den verschiedenen Teilen des Landes, deswegen lassen sich meine
Aussagen nicht auf das ganze Land beziehen. Trotzdem will ich euch von dem
Brasilien, welches ich kennenlernen durfte, erzählen.
Ich bin jetzt wirklich
schon 5 Monate in Brasilien und kann noch gar nicht richtig glauben, dass es
quasi Halbzeit ist, denn die Zeit vergeht mir einfach viel zu schnell. Dabei
fühlt es sich manchmal doch noch wie gestern an, als ich mich damals vor einem
halben Jahr von meinen Eltern und Freunden verabschieden musste und mich mit
all den anderen Austauschschülern auf die weite Reise ins ferne Brasilien
gemacht habe. Und auch wenn anfangs alles so fremd war, habe ich hier meine
zweite Heimat gefunden und muss ehrlich sagen, dass ich diese Entscheidung ins
Ausland zu gehen noch nicht einmal bereut habe.
Aller Anfang ist schwer
Dabei war mein Start alles
andere als gut. Nach der großen Freude und Überwältigung nach der Ankunft ,
rauschte meine Achterbahn der Gefühle ganz weit nach unten und die Enttäuschung
machte sich breit. Meine Gastfamilie lebte in einer für mich ziemlich
gefährlichen und auch ärmlicheren Teil der Stadt. Ich durfte nicht allein das
Haus verlassen, mich mit Freunden verabreden, fühlte mich in dem Haus wie
eingesperrt und dass die Familie keine Zeit für mich hatte und auch kaum mit
mir redete,ich quasi ignoriert wurde, machte alles nur noch schlimmer. Es war
ein großer Schock für mich unter diesen extrem anderen Bedingungen zu leben, so
eingeschränkt zu sein, denn ich kannte bisher ja nur das Leben im sicheren und
reichen Deutschland. Für mich war dann definitiv klar, dass ich meine
Gastfamilie wechseln muss und seitdem lebe ich in einer neuen Familie,
bestehend aus meinen zwei Gasteltern, die ich sehr lieb gewonnen habe.
Von der unteren
Mittelschicht zur Elite, so fühlte sich der Wechsel für mich an und so kann ich
sagen, dass ich das Leben beider Seiten kennengelernt habe, denn so ist
Brasilien nun mal – tief gespalten in seinen sozialen Schichten und jeder will
sein Hab und Gut mit aller Macht beschützen. Kriminalität und Sicherheit haben
hier eine ganz andere Bedeutung. Noch nie vorher in meinem Leben habe ich eine
Favela gesehen, es gibt bestimmte Orte die man nicht passieren sollte und
sobald es dunkel ist, ist es besser nicht mehr draußen herum zu laufen. Viele
Dinge sind gefährlich, besonders, wenn man Ausländer ist und so ich habe vor
allem in den ersten Wochen und Monaten mein Leben in Deutschland zu schätzen
gelernt, durch die enormen Kontraste, die einem erst bewusst werden, wenn man
sie selbst erlebt.
Fasziniert von Land und
Leuten
Brasilien ist wie eine
andere Welt und ich fühlte mich anfangs wie ein Alien, der versehentlich hier
gelandet ist und so wurde und werde ich auch immer noch von den Leuten die hier
leben angestarrt. Als Blondine in Salvador, der Stadt mit dem höchsten Anteil
schwarzer Bevölkerung, fällt man eben auf. Dabei sind die Brasilianer aber ein
wunderbares Volk, sehr herzlich und freundlich. Zur Begrüßung wird man umarmt,
es gibt ein Küsschen auf die Wange links und rechts und man bekommt die Frage
„Tudo bem?“ ( Wie geht’s?) gestellt, egal ob man die Person schon lange kennt
oder noch nie zuvor gesehen hat. Diese Lebensfreude und Offenheit der Leute
hier fasziniert mich sehr. Sie kommen auf einen zu, sind interessiert, wollen
mit einem reden, auch wenn man Portugiesisch vielleicht noch nicht gut
beherrscht. Das alles färbt sich auch ein bischen auf mich ab, denn ich merke
selbst, dass ich selbstbewusster und glücklicher geworden bin.
Pünktlichkeit? Das ist
nicht gerade die Stärke der Brasilianer. Oft wird es sogar als unhöflich
angesehen, wenn man zum ausgemachten Zeitpunkt erscheint. Genauso wenig wird es
mit Verabredungen ernst genommen. Also wenn jemand zu dir sagt, „Lass uns
morgen etwas unternehmen. Ich rufe dich an!“, dann solltest du besser nicht
davon ausgehen, dass du wirklich einen Anruf bekommst, sondern lieber noch mal
nachhaken.
Ich wohne nah an Salvador
und liebe diese Stadt. Der Mix aus Moderne, den vielen antiken Häusern im
portugiesischem Stil und die Nähe zum Meer machen einen besonderen Reiz aus.
Und wenn man erstmal aus der Großstadt heraus ist, sieht man auch die
wunderschöne Natur. Palmen und Kakteen wachsen überall, es gibt traumhafte
Strände mit tiefblauem Wasser und weißem Sandstrand, der sogar nur 10 Minuten
zu Fuß von meinem Haus entfernt ist. Ich fühle mich deshalb schon ein bisschen
so, als würde ich im Paradies leben.
Ein etwas anderer
Alltag
Mit der Zeit werde ich
aber auch immer mehr zur kleinen Brasilianerin, dusche mindestens einmal
täglich, esse Mittags immer Reis mit Bohnen, gehe wie alle anderen ins
Fitness-Center, verbringe viel Zeit am Strand und gehe surfen.
Viele Jugendlich gehen
gemeinsam Shoppen, ins Kino, treiben Sport (besonders beliebt sind
Fitness-Center, Fußball oder Tanzen). Oftmals trifft man sich aber auch einfach
zu Hause, macht ein Churrasco (Brasilianisches Barbeque mit sehr viel Fleisch)
und hört dazu brasilianische Musik. Hier gibt es nämlich weit mehr, als nur
Samba oder kennt ihr etwa Axé, Forró, Pagode oder Funk? Dann wird es Zeit! Am
Wochenende gibt es viele Feste und Partys, die oft bis in die frühen
Morgenstunden andauern und man in den Genuss der verschiedensten Musiktypen
kommt. Dabei bleibt kein Brasilianer still auf seinem Stuhl sitzen, denn die
Leute hier können Tanzen, und wie! Lasst es euch von ihnen beibringen und habt
keine Angst, denn es wird euch keiner auslachen, falls ihr den Hüftschwung noch
nicht so gut drauf habt.
Auch die Schule, die ich
hier besuche, ist absolut anders. Und zwar nicht nur, dass ich eine
Schuluniform tragen und früher aufstehen muss. Der Lehrer wird eher als Freund
gesehen, mit dem man über das Wochenende plaudert oder Scherze macht. Dabei
geht der Respekt natürlich schnell mal verloren. Von Disziplin fehlt hier auch
jede Spur, jeder spielt mit seinem Handy herum, liegt mit dem Kopf auf der Bank
und schläft, unterhält sich lautstark oder steht einfach auf und geht aus dem
Klassenzimmer. Das war zu Beginn ein großer Schock für mich, aber nach einer
Weile lernt man sich auch daran anzupassen und weil ich vom Unterricht sowieso
noch nicht alles verstehen kann, vertreibe ich mir die Zeit und unterhalte mich
mit den anderen.
Freunde in meiner Klasse,
mit denen ich auch nachmittags mal was unternehme, habe ich trotzdem eher
wenige, denn die Jugendlichen hier wirken generell eher jünger und da gehen die
gemeinsamen Interessen auseinander. So habe ich hier viele Freunde die etwas
älter sind als ich. Oft haben die auch schon ein Auto, was ein großer Vorteil
ist, denn der öffentliche Verkehr hier ist wirklich eine Katastrophe. Bus
fahren ist sehr gefährlich, es gibt weder einen Plan oder gekennzeichnete
Haltestellen, an U-Bahn, Straßenbahn oder Zug ist gar nicht zu denken. Falls
ihr es doch wagen und mit dem brasilianischen Bus fahren wollt, holt euch auf
jeden Fall den Rat eurer Gastfamilie und vermeidet es allein unterwegs zu sein.
Falls zukünftige
Austauschschüler das einmal lesen werden, will ich ihnen auf jeden Fall noch
ein Paar Tipps mit auf die Reise geben:
·
Schreibt
Tagebuch. Es ist wunderbar sich auch in vielen Jahren noch einmal das Buch zur
Hand zu nehmen und sich an all die Erlebnisse zurück zu erinnern.
·
Seid offen und
probiert alles aus! Auch wenn die Brasilianer alle ein bisschen verrückt sind,
muss man sich nur darauf einlassen, um voll und ganz in deren Kultur integriert
zu werden. Habt keine Angst etwas falsch zu machen oder seid schüchtern. Nutzt
jede Chance, die euch geboten wird, denn vielleicht kommt sie nie wieder in
eurem Leben.
·
Durchhalten. Es
wird Tage geben an denen ihr euch einsam fühlt, Heimweh bekommt, ihr euch
missverstanden fühlt oder euch langweilt. Wichtig ist, dass ihr nicht aufgebt,
denn auch die Zeit der Isolation geht vorüber.
·
Vermeidet es
Englisch zu sprechen. Es scheint ja sehr verlockend, wenn man noch nicht gut
Portugiesisch spricht, aber ihr solltet jede Chance nutzten die Sprache eures
Gastlandes zu lernen, denn um so leichter wird es euch fallen, euch zu recht zu
finden und Freunde zu finden.
·
Genießt es! Denn
die Zeit vergeht viel zu schnell.
In den 5 Monaten, die ich
nun schon hier bin, konnte ich viele Erfahrungen sammeln, habe eine zweite
Familie am anderen Ende der Welt, konnte viele Freundschaften schließen und in
eine andere Kultur eintauchen, die so anders ist und die ich trotzdem oder auch
gerade deshalb zu lieben gelernt habe. Auch im Portugiesisch mache ich große
Fortschritte und finde es unglaublich, dass es wirklich möglich ist, eine
Sprache in so kurzer Zeit zu lernen. Ich bin sehr froh und Dankbar, dass ich
die Möglichkeit bekommen habe ein Auslandsjahr zu machen und möchte einen
besonderen Dank an den Adolf Würth GmbH und AFS Interkulturelle Begegnungen
aussprechen, durch deren Unterstützung ich mir den Traum, ein Jahr in Brasilien
zu verbringen, erfüllen konnte.